Im Wettbewerb ›Die besten Geschäftsberichte‹ haben sich 2014 grundlegende Veränderungen ergeben. Das Prüfteam des CCI hat das Jahr der Transformation für eine Weiterentwicklung der Gestaltungsbewertung genutzt und erstmals auch die kommunikative und gestalterische Qualität digitaler Geschäftsberichte im Internet bewertet. »Damit haben wir die Konsequenz aus unserer Überzeugung gezogen, den Geschäftsbericht in seiner medialen Inszenierung ganzheitlich zu betrachten« – so stand es in der Einladung, die in ihrer ›Haute Couture‹ – Gestaltung als ein Schmuckstück graphischer Raffinesse wegweisend sein dürfte – geschaffen von den CCI-Studierenden an der Fachhochschule Münster, gesponsert von Papier Union GmbH und Eberl Print, die zuverlässigen, zurückhaltenden Partner der Tagung. Sie fand, was symbolisch oder auch nicht symbolisch verstanden werden kann, auf einem futuristischen Tagungsboot eines stillgelegten Kanals in Hamburg statt.
Professor Klaus Klemp als Moderator brachte Idealbedingungen für diese Arbeit mit: Design- und Kunsthistoriker, stellvertretender Direktor und Kurator Design des Museums Angewandte Kunst Frankfurt a. M. und Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, Vorstandsmitglied der ›Dieter und Ingeborg Rams Stiftung‹ seit 2010. Bis zur Abschlussdiskussion navigierte er souverän durch komplexe Themen und am Abend, als sich schon die Dämmerung aufs Wasser legte, waren viele Teilnehmer aufgewühlt: Es gibt viel Neues zu bedenken, aber auch altes festzuhalten. Professor Dr. Tatjana Oberdörster hatte es in ihrer heiterklaren Art zusammengefasst: »Ein Geschäftsbericht ist ein Geschäftsbericht ist ein Geschäftsbericht«. In Anlehnung der berühmten Worte von Gertrude Stein »eine rose ist eine rose ist eine rose« sollte es auch mal ausgesprochen werden: Man kann aus einer Rose kein Sparschwein machen und aus einem Geschäftsbericht keine Rose. Denn in diesem Spannungsfeld lag der Kern der Sache: Wo das CCI zum ersten Mal das visuelle Erscheinungsbild der Internet-Präsentation der Geschäftsberichte in bewertbaren Augenschein nahm, da wurden digitale Möglichkeiten und deren Höhenflüge veranschaulicht.
Zurück zum soliden Handwerk: Die besten Geschäftsberichte 2014 in der Gestaltung waren handverlesen, ihre Güte und Qualität vom Prüfteam CCI genauestens analysiert und begründet. An beredten Beispielen verdeutlichte Professor Gisela Grosse, Leiterin des CCI und seit 1994 Professorin für Corporate Identity, Unternehmens- und Finanzkommunikation an der Hochschule Münster sowie Gründerin und Leiterin des CCI, wie ein Geschäftsbericht print oder online zu einem Meisterstück wird und warum viele es leider nicht werden.
Die Guten, das stellte sie fest, sind noch besser geworden. In den oberen 10 Rängen drängeln sich die ausgezeichneten Printberichte. Es gab mehrfach Doppelauszeichnungen, weil sich alle in der Leistungsskala höchstens um 6 Prozentpunkte unterscheiden. Daraus kann ja auch gefolgert werden, dass die jährliche Kür zum Besten Geschäftsbericht im Laufe der Zeit Ansporn und Qualitätssteigerung mit sich gebracht hat. Der Trend zu hellen, weiß dominierenden Covers sei da, Extras, Veredelungen in Papier, Schnittfarben, Einleger, Seitenüberleitungen und Gestaltungsaufreger sind auffallend. Aber – so Grosse – das Produkt selbst muss durch Klarheit überzeugen, eine Geschichte muss sich wie ein roter Faden durch die Publikation ziehen, eine Strategie durchsichtig dargestellt werden, die Persönlichkeit des Unternehmens erkennbar sein, die Bildsprache lebendig, individuell sein, die Repräsentation gesellschaftlich eingebettet, Prognose, Forschung, Nachhaltigkeit schlüssig formuliert, also dem IFRS (dem Internationalen Rechnungslegungsstandard) gerecht werden. Wer (unter anderem) diese Kriterien Jahr für Jahr offensichtlich und durchschaubar formuliert, hat gute Karten für das Siegertreppchen.
Aber die Mehrzahl – so Professor Grosse – der eingereichten Geschäftsberichte stehen da noch im Schatten herkömmlich standardisierter Erzeugnisse. Auch dafür zeigte sie Beispiele: zugepackte Textseiten – wir nannten es früher Bleiwüsten –, die den Leser ermüden, sein Desinteresse erzeugen, wodurch interessante Inhalte oft leiden müssen, weil sie nicht wahrgenommen werden. Der mit Gewalt gebaute Blocksatz mit Lücken (»ganze Flüsse ziehen sich durch den Text, Löcher wie Inseln«), statischstumme Fotografien, schlechte Kopien, abgekupferte Ideen (»Auch kopieren ist eine Kunst, die man beherrschen muss«), wenig visuelle Signale, die über das Auge Interesse wecken könnten, also zu wenig Aufmerksamkeitssignale. Und dann das heikle Thema der Tabellen und Statistiken: Sie können den Leser in ihren Bann ziehen, weil sie klar und nachvollziehbar sind, sie können aber auch abschrecken, weil sie unverständlich und grafisch nachlässig erscheinen.
Ein Geschäftsbericht ist keine Prosa, so Grosse, er will nicht von vorne nach hinten gelesen werden – er sollte wie ein Raum verstanden werden, in dem man sich frei bewegen kann: »Das Druckwerk muss sich von allen Seiten erschließen lassen, es braucht eine Verweis-Struktur, um sich gut zu erklären.«
DER ONLINE-GESCHÄFTSBERICHT – BRUDER VON PRINT ODER MEHR?
Seit Jahren wird auf den Veranstaltungen, Seminaren und Tagungen des CCI mit wachsender Intensität über die Frage diskutiert, ob und wie der Geschäftsbericht online präsentiert werden soll, welche Funktion er haben kann oder muss, in welchem Zusammenhang er gesehen werden will. Inzwischen hat die Entwicklung – voran das CCI mit seiner neuen Wertung der Online-Berichte – für die Zukunft gesprochen: Ja, die Geschäftsberichte müssen auch online sein, wie heute übrigens schon so gut wie selbstverständlich. (Vor einigen Jahren war man da aber noch sehr zurückhaltend). ThyssenKrupp, so hörte man, verzichte inzwischen ganz auf den gedruckten Geschäftsbericht. Einspruch eines Teilnehmers: 1200 Stück werden für die Hauptversammlung gedruckt, das ist aber die Ausnahme.
Immerhin treibt die Frage um – wie sieht denn die erfolgreiche Präsentation eines Online-Berichts aus? Was gehört rein, was nicht, steht er in Verbindung mit der Print-Version, was veröffentlicht man in PDF – was in HTML oder beides?
Der vom CCI erarbeitete Kriterienkatalog umfasst neben der medialen Angemessenheit auch Aspekte der Gestaltungswirkung sowie des gestalterischen Handwerks. Die Einzigartigkeit der Prüfung durch das CCI liegt in der parallelen Bewertung von funktionaler und emotionaler Gestaltungsqualität, zum Beispiel der intuitiven Menüführung oder der Vermittlung der Unternehmensidentität über die mediale Sprache. Bewertungskriterien sind zum Beispiel: Distribution und Einbettung, Navigation und Vernetzung, Multimedialität, Interaktivität, Zeitbezug. Um diese, ja neue, Aufgabe wissenschaftlich zu unterlegen, gibt es im CCI ein Forschungslabor über das Professor Grosse auch berichtete. Es hat Umfragen gegeben und weitere sind in Arbeit, die an ausgewählte Unternehmen und Analysten gerichtet sind. Es geht um ihren Umgang und ihre Erfahrungen mit den Geschäftsberichten. Sie werden vom Labor analysiert und dokumentiert, auch filmisch. Wie reagieren Analysten auf schlecht gestaltete Geschäftsberichte und wie auf gut gestaltete? Die Beziehung zwischen Print und Online – wie wirkt sie sich auf, zum Beispiel die Print-Auflage aus? Sind die Zugriffe auf Online stärker geworden und wie reagiert man auf die Resonanz? Wie werten die Chef-Etagen, die Abteilungsleitungen das Wechselspiel? Aber auch Fragen nach dem Kernstück des Geschäftsberichts, dem Brief des Vorstandsvorsitzenden oder dem Vorwort: Halten die Inhalte, was der Geschäftsbericht verspricht? Werden die existenziellen Fragen von Zukunft und Sicherheit, Planbarkeit und Machbarkeit angesprochen?
DAS GESCHÄFT PRÄGT DEN BERICHT – DAS INTERNET VERLANGT MEHR.
Über aktuelle Entwicklungen im Reporting sprach Prof. Dr. Tatjana Oberdörster, Wirtschaftswissenschaftlerin, Professorin für Rechnungswesen an der Westfälischen Hochschule seit 2014. Nach ihrer Tätigkeit in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft übernahm sie 2005 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsteam von Professor Baetge unter anderem die Organisationsleitung des Wettbewerbs ›Der beste Geschäftsbericht‹. Sie ging auf die Bedeutung und Wertigkeit des Lageberichts ein und hinterfragte, ob den immer wichtiger werdenden Einbindungen nach den Informationsbedürfnissen der Stakeholder Rechnung getragen würde, ob auch die Berichte über Prognose, Forschung, Umwelt und Nachhaltigkeit deutlich heraus gearbeitet würden. In ihrer klaren Diktion wusste sie einiges über die Transformation vom ›integrierten Geschäftsbericht‹ zum ›Integrated Reporting‹ heraus zu arbeiten. Wie zum Beispiel die Würdigung der ›Kapitalien‹ für den Zukunftswert der Unternehmen. Aus ›integrated thinking‹ wird ›integrated reporting‹, das sich im Lagebericht / Geschäftsbericht niederschlagen sollte. In Deutschland sei man – international gesehen –schon ziemlich gut aufgestellt mit diesen erweiterten Berichtsstandards. Sie packte also (theoretisch) allerhand Innovatives in die Geschäftsberichte, die damit ihre statischen Pflichten erweitern und etwas Zukunftsinnovatives ergänzen sollten. Und schließlich: Die Nachhaltigkeit sei bereits seit Jahren ein festgeschriebener Auftrag der UN. Unterm Strich durfte man ihren Vortrag als ein Plädoyer für den zukunftsgezielten Geschäftsbericht sehen, der sich stetig öffnen und neue Optionen aufzunehmen bereit sein sollte. Die Antwort auf ihre anfangs polemisch gestellte Frage, ob der Geschäftsbericht historisch am Ende sei: »Totgeglaubte leben länger –es lebe der Geschäftsbericht«.
Eine weitere Referentin, die als Outsiderin ganz und gar unbefangen ihre Zweifel an der konservativ dargestellten Online-Version vieler Geschäftsberichte in die Diskussion bringen konnte: Vera Lisakowski, Projektleiterin des Grimme Online Award fischt professionell im weltweiten Netz nach originalen Publikationen, Videos, die unterhaltsam und nützlich für alle User sind und deshalb für einen ›Grimme Online Award‹ preiswürdig sein könnten. Mehr als tausend Bewerbungs-Einsendungen pro Jahr – da kennt sie sich aus. Ihre Beispiele führten in die flüchtige Welt der Selbstdarstellung im Netz, offenbar eine sehr beliebte und nachgefragte Art der Neuen Kommunikation. Warum sollten Unternehmen diese Spielwiesen nicht nutzen? Beispielsweise ihre Forscher mit Links und Verweisen neueMethoden erklären lassen? Oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ihrem Arbeitsplatz berichten lassen? Oder ihre Internationalität ganz praktisch mit Interviews und Dokumentationen unterfüttern? Podcast und Videos, Websites als Magazin, Social Media in die Kanäle – why not? Auf jeden Fall »nix Glattgebügeltes« – wie sie es in manchen Geschäftsberichten sehe. Und langweilig finde.
Ja, so viele Anregungen kann ein einziger Tag bringen! Und immer ging’s eigentlich um das Eine: Wie sieht die Gestaltung des Geschäftsberichts von morgen aus? Der Geschäftsbericht ist ja längst kein Business-Zahlenwerk in feinem Tuch mit Krawatte, eher sportlich in Jeans und Sneakers verändert er fließend und stetig sein Profil, bestenfalls passt er sich geschmeidig einer medial-bestimmten und medial gestimmten Zukunft an, für die die Kriterien der Gestaltung an Gewicht gewinnen: Denn das Auge ist es, das die erste Aufmerksamkeit holt und entsprechend weitergibt. Ohne Bilder wäre unsere Kommunikation blind.
In der abschließenden Diskussion ging es eben darum und die vielen Ausdrucks-Möglichkeiten – Tradition, Evolution, Revolution – wohin geht’s? Tatjana Oberdörster machte es kurz und bündig: »Ein Geschäftsbericht ist ein Geschäftsbericht ist ein Geschäftsbericht und irgendwann ist es auch mal gut«.
Geben wir der Gastgeberin das letzte Wort: »VisuelleQualität auf einem hohen Niveau ist eine Herausforderung für uns, ein spannender Prozess, den wir führen und zum Erfolg bringen.« Ihr besonderer Dank galt den Sponsoren dieser von vielen Diskussionen in gut bewirteten Pausen begleiteten Veranstaltung und ihrem jungen Team, das mit ideeller Hingabe Vorbereitung und Durchführung gestaltet hatte.